Mehlherstellung

Über die Mehlherstellung in der Müllerei und in der Wassermühle Ovelgönne

Auf dem noch heute in der Wassermühle Ovelgönne vorhandenen Mahlgang wird zu Vorführungszwecken gemahlen. Das fertige Endprodukt ist Schrot, welches sich entweder als Viehfutter oder zum Verbacken bei gröberem Brot und Kuchensorten eignet. In diesem Schrot sind noch nahezu sämtliche Bestandteile des Kornes vorhanden, weshalb mancher dieses Produkt heutzutage auch als „Vollkornmehl“ bezeichnen mag. Nun ist der Begriff „Mehl“ hierbei etwas irritierend, da richtiges Mehl eigentlich etwas anders beschaffen ist. Das „Mehl“ sind als Endprodukt in der Fachsprache lediglich die Bestandteile des Mehlkernes im Korn.
Dazu muss man wissen, dass ein Korn aus mehreren Bestandteilen besteht, deren kleinstes im Inneren der Mehlkern ist. Im Mahlgang werden alle diese Bestandteile zermahlen und verlassen auch in diesem Zustand den Vorgang.

Nun stellt sich natürlich die Frage, wie man aus diesem Gemisch die Teile des Mehlkernes herausbekommt. Dies geschieht durch Aussieben. Dafür besaßen viele Mühlen spezielle Maschinen, die mit einem Oberbegriff heute „Sichter“ heißen. Von diesen Maschinen gibt es einige verschiedene Typen.

Vorläufer der Sichter waren manuell geschüttelte Tuche, auf denen das Mahlgut lag und durch Erschütterung die kleinen Bestandteile (das Mehl) nach unten durchfiel. Die Sichtmethode kannten sogar schon die alten Römer in der Antike.
Als erste mechanische Sichtmaschine kam dann gegen 1500 allgemein der sog. „Beutelkasten“ auf. Dies ist ein schrankartiger Holzkasten, in dem schräg eine Tuchrolle aufgehängt ist, die mittels einer Holzgabel geschüttelt wird. Die Erschütterung wird durch Nocken auf der Antriebsachse des Mehlgangs erzeugt. Durch diese Erschütterung wird das Mehl regelrecht aus der Tuchrolle (Beutel) herausgeschlagen und fälllt in den Holzkasten, während die gröberen Bestandteile aufgrund der Schräglage des Tuches nach hinten aus dem Kasten herausrutschen. Solche Beutelkästen sind in Wasser- und Windmühlen unserer Breiten bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine recht häufige Erscheinung.

Schon gegen Mitte des 18. Jahrhunderts versuchte man die Sichtung zu verbessern und es kamen langsam neuere effektive Sichtmaschinen auf. Hier wären als estes der sog. „Zylindersichter“ zu nennen. Dies ist wiederum ein schrankartiges Gehäuse, in dem nun schräg ein sich langsam drehender, mit Draht-, Stoff- oder Seidengewebe bespannter Hohlzylinder aufgehängt ist. Durch die Drehung fallen Mehlbestandteile nach unten aus dem Zylinder, während die groben Bestandteile darin bleiben und wiederum aufgrund der Schräglage der Trommel nach hinten herausrutschen. Später gestaltete man die Trommel sechskantig, woraus dann der Begriff „Sechskantsichter“ entstand.
Sechskantsichter sind ebenfalls in allen Mühlen eine häufige Erscheinung gewesen und teilweise heute noch anzutreffen.

Aus dem Sechskantsichter wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Zentrifugalsichter entwickelt. Hier wurde das Mahlgut durch eine Art Rotor von Innen gegen die Trommel getrieben, wobei die feinen Mehlbestandteile durch die Bespannung hindurch geworfen werden, während die gröberen Teile durch schräge Wurfbleche am Rotor nach hinten aus der Maschine herausgeworfen werden. Damit die Bespannung der Trommel nicht verstopft, dreht sich die Trommel langsam an einer Bürstenreihe entlang, die die Siebe ständig reinigt. Zentrifugalsichter sind heute ebenfalls noch relativ häufig in Wind- und Wassermühlen anzutreffen.
Daraus wurde dann gegen Anfang des 20. Jahrhunderts der sog. „Wurfsichter“ entwickelt. Hier wird das Mahlgut mit höherer Geschwindigkeit als beim Zerntrifugalsichter mittels eines Rotors gegen einen feststehenden Siebrahmen geworfen. Eine Siebreinigung ist nicht erforderlich, da der durch den sehr schnell laufenden Rotor erzeugte Luftstrom die Bespannung ständig freihält. Wurfsichter sind ebenfalls noch sehr häufig in Wind- und Wassermühlen anzutreffen.

Als modernstes Siebverfahren sind dann die Plansichter und Flachsichter zu nennen. Diese bestehen aus mehreren übereinandergelegten Siebrahmen. Das Maschinengehäuse ist an Seilen oder Bambusstäben schwingend aufgehängt. Die Schwingung entsteht bei beiden Arten durch eine Kurbelwelle. Beim Plansichter geschieht diese Schwingung kreisförmig, beim Flachsichter hin- und hergehend. Durch diese Schwingung fallen die jeweils feineren Teile durch den Siebrahmen. Plansichter werden heute noch in modernisierter Form in den meisten in Betrieb befindlichen Mühlen verwendet.

Die Entwicklung dieser Sichtmaschinen geht einher mit der Einführung neuerer Müllereimaschinen. Wichtigste Neuerung war hier der Einsatz der alten Mahlsteine durch Walzen. Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts führten einige Mühlenbauer und Ingenieure Versuche durch, mit Walzen zu mahlen. Der eigentliche Durchbruch hierzu gelang erst 1873 dem Züricher Ingenieur Friedrich Wegmann mit der Erfindung seines „Porzellan-Walzenstuhls“. Nach und nach wurden nun recht viele Mühlen, darunter auch etliche Wind- und Wassermühlen, mit diesen Maschinen, für die sich nun fortan der Begriff „Walzenstuhl“ durchsetzte, ausgestattet.

Mit diesen Walzenstühlen kamen auch neuere Vermahlungsmethoden auf, die auch bald den Bedarf nach neueren Sichtmaschinen weckten.
Sechskantsichter gibt es seit ungefähr der Mitte des 18. Jahrhunderts. Sie haben sich bis zur Einführung des Zentrifugalsichters in allen Varianten sehr gut bewährt und sind auch später noch in verschiedenen Mühlenarten, beispielsweise in Windmühlen, ein häufig verwendetes Siebsystem, da sie bespielsweise relativ unempfindlich gegen Drehzahlschwankungen reagieren.

In den 1860er-Jahren kamen die ersten Zentrifugalsichter auf, zur vollen Entwicklung kam diese Bauart jedoch erst in den 1880er-Jahren.

Eine sensationelle Erfindung ist dann 1888 der Plansichter von Haggenmacher in Budapest. Es ist daher nicht unverständlich, dass auch in der Einführung von Walzenstühlen die Ungarn, oder damals ja noch Österreich-Ungarn, viele Verdienste haben. Viele Patente in diesem Bereich, z. B. der „Planeten- oder Ringwalzenstuhl“ im Jahre 18xx von der Firma Ganz in Budapest stammen daher.

War eine Herstellung von feinem Mehl in der Wassermühle von Ovelgönne auch möglich?
Untersuchen wir die Mühle genauer, so stellen wir fest, dass dem einmal so gewesen sein muss. Zu sehen ist dies u. a. an der Tatsache, dass der noch vorhandene Mahlgang als Auslauf zwei verschiedene Löcher in seiner Holzverkleidung besitzt. Nur ein Loch ist heute mit einem Holzrohr zum Absacken verbunden. Das zweite Loch war früher mit größter Wahrscheinlichkeit mit einer Siebeinrichtung für Feinmehl verbunden. Mahlgänge mit zwei getrennten Ausläufen zum direkten Absacken und zur Weiterverabreitung in Sichtmaschinen sind typisch für ältere Mühlen, in denen die reine Futterschrotherstellung von der Mehlherstellung noch nicht getrennt ist. Leider ist in hiesiger Mühle nicht bekannt, um was für eine Sichtmaschine es sich gehandelt hat. Aus verschiedenen Beobachtungen lässt sich jedoch ersehen, dass es sich um die älteste, mechanische Siebform, einen Beutelkasten, gehandelt haben muss. Zum Betrieb eines Sechskantsichters oder der anderen modernen Sichtmaschinen wäre eine vom Mühlwerk angetriebene eigene Transmissionswelle nötig. Von einer Solchen finden wir in hiesiger Mühle keine Anzeichen vor, wir müssen daher annehmen, dass es sie nicht gegeben hat.
Moderne Sichtmaschinen wie Zentrifugal-, Wurf- oder sogar Plan- und Flachsichter werden sowieso nicht vorhanden gewesen sein, sie passen nicht zum restlichen technischen Standard dieser Mühle. Ein Beutelkasten benötigt keine gesonderte Transmissionswelle und passt in diesem Falle auch recht gut zur sonstigen Mühlenausstattung.

Solche Beutelkästen gehörten zum typischen Bild in Wassermühlen „altdeutschen Typs“, zu dem die Ovelgönner Mühle zweifelsohne zuzurechnen ist. Historische Mühlenbaubücher zeigen diese altdeutschen Wassermühlen mit Beutelkästen noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts als wichtige Bauart.

In manchen Gegenden Deutschlands ist diese Bauart heute noch vielfach anzutreffen. Hier ist in erster Linie der Schwarzwald zu nennen, wo es noch recht viele solcher Mühlen mit einem oder höchstens zwei Mahlgängen und Beutelkästen gibt. Dies sind hier zumeist kleinere „Bauernmühlen“ für den Bedarf eines oder mehrerer Höfe. Die hier anzutreffenden Beutelkästen sind oft hohen Alters und reich verziert. Man hat hier zudem eine Kultur daraus gemacht, den Kleieauslauf der Beutelkästen mit Gesichtern und Fratzen zu verzieren. Der daraus entstandene Begriff „Kleiekotzer“ hat sich später bei diesen Maschinen allgemein eingebürgert.

Leider haben sich in Deutschland mit Ausnahme der „Hofmühlen“ im Schwarzwald nur sehr wenige Wassermühlen mit dieser altertümlichen Mahl- und Sichttechnik erhalten. Dies ist besonders schade, zeigt der um 1500 eingeführte Beutelkasten nicht nur die erste Maschine zur Herstellung von Feinmehl verschiedener Sorten, sondern auch die ersten Ansätze zur heutigen modernen Müllerei.

Rüdiger Hagen, Wedemark