Meister Schwar

Detlef Schwar (> 1630 – 1689)

Unternehmerisches Talent im Zeichen feudalistisch geprägter Dominanz, Teil I

Relativ wenig wussten wir bislang von Detlef Schwar, dem Bauherrn und ersten Besitzer der Ovelgönner Wassermühle. Die Balkeninschrift ´M. Detlef Schwar Anno 1674´ ist, das ist längst erwiesen, „ihrer Bedeutung nach“ (W. Meyne) eine historische Urkunde, die einen geschäftlich bedingten Vorgang bezeugt. Es handelt sich um einen „Überrest“ im klassischen Sinne, der ein objektives Bild, eine „Momentaufnahme“, vermittelt, allerdings von sich aus keine weiterführenden Zusammenhänge aufzeigt, keinerlei direkte Auskünfte gibt über Ursache und Anlass seiner Entstehung oder über die Zielfunktion, die der Bauherr mit seinem Signum seinerzeit setzen wollte.
Mehr beiläufig und in einem anderen thematischen Zusammenhang wird er von A. C. Förste als einen seinerzeit bekannten tüchtigen Müller bezeichnet, „der schon 1665 die bedeutende Moisburger Kornmühle in Pacht hatte…“. (1)
Und auch die Ausführungen Chr. Schleefs „Zur Geschichte der Ovelgönner Wassermühle“ (2) beschränken sich auf allgemein gehaltene Angaben zum „ersten Pächter und Besitzer der Mühle“.

Balkeninschrift Wassermühle Ovelgönne: M. Detlef Schwar Anno 1674

Beide Autoren werten die Balkeninschrift über der Eingangstür im wesentlichen als Dokumentation eines gewöhnlichen geschäftlichen Vorgangs, dass nämlich Detlef Schwar kraft landesherrlicher Konzession 1674 an dem bereits vorhandenen Fischteich auf eigene Kosten eine neue Mühle bauen und diese für einen von ihm zu zahlenden Pachtzins bewirtschaften durfte.

In der Festschrift anlässlich des 325. Geburtstages unserer „molina“ habe ich dann die folgenden, z. T. hypothetisch gehaltenen Aussagen gewagt: „Schwar muss mächtig stolz auf die kleine von ihm eigenständig errichtete Mühle in rustikaler Schönheit gewesen sein, hat er sich doch, eingeschnitzt im Balken der Eingangstür, sein eigenes historisches Zeugnis gesetzt, das gleichzeitig Auschluss gibt über die sozioökonomischen Zusammenhänge jener Zeit. Kurz vorher waren nämlich die Umbauten des Celler Schlosses `nach venezianischem Vorbild´ abgeschlossen worden. Das bezeugt die in einem Giebel in goldenen Ziffern prangende Jahreszahl 1670. Beide historischen Dokumente, bezieht man sie aufeinander, verdeutlichen die Zusammenhänge traditionell gültigen Rechts und der gesellschaftlichen Realität im 17./18. Jahrhundert: „Barockfürstliche Prachtentfaltung wurde erkauft mit den Leistungsanforderungen und der Arbeitskraft der von der Grund- und Landesherrschaft Abhängigen, und die Einkünfte aus den Mühlengeschäften waren nicht unerheblich.“ (3)

Wappen und Insignien des welfischen Herrscherhauses am Portal des Celler Schlosses

Das von Hermann Garbers zur Erkundung seiner Vorfahrerschaft aufgespürte Quellenmaterial (4) lässt nunmehr den Schluss zu, dass die o. a. Thesen einen richtigen Interpretationsansatz zum tieferen Verständnis der Balkeninschrift enthalten: Es handelt sich hier um eine Urkunde, die auch und primär aus zutiefst persönlichen Bedürfnissen enstanden ist: Detelf Schwar meldet – zumindest latent – mit diesem scheinbar unscheinbaren historischen Zeugnis gesellschaftspolitische Ansprüche für das Müllergewerbe an.

Das 17. Jahrhundert war zunächst geprägt von den Auswirkungen der konfessionellen Gegensätze, die sich 1618 in einem z. T. grausam geführten dreißigjährigen Krieg entluden. Ganze deutsche Landstriche wurden verwüstet, Städte und Dorfkulturen wurden zerstört, die Bevölkerung um 30 – 50% reduziert. Im Oktober 1648 fand der wohl scheußlichste Krieg der Neuzeit sein seit langem herbeigesehntes Ende, und die Menschen konnten sich endlich wieder zukunftsorientiert verhalten.
Das tat damals ganz offensichtlich auch der junge Detlef Schwar, der 1630, also mitten in den Kriegszeiten, das Licht der Welt erblickt hatte. Das Geburtsjahr konnte lediglich indirekt, d. h. über später erstellte Stamm- bzw. Familiendokumente seiner Kinder ausfindig gemacht werden, denn es liegt (bisher!) keinerlei historisches Quellenmaterial vor, das uns informieren könnte über die Herkunft Detlef Schwars, über seinen Geburtsort, sein genaues Geburtsdatum, sein Elternhaus oder seine Kindheit.
Das vorliegende Schriftgut, die schriftlichen Überreste aus seinem späteren Leben lassen jedoch relevante Rückschlüsse auch für die frühere Phase seiner Persönlichkeitsentfaltung zu. Offensichtlich hat er sich als junger Mann ideenreich, tatkräftig und zielbewusst die Grundlagen für eine erfolgsversprechende Zukunft geschaffen. In seinem Arbeitsumfeld muss er schon bald eine feste Größe geworden sein und soweit persönliche und berufliche Anerkennung erworben haben, dass er 1656 seine erste Ehe (5) schließen und somit eine Lebensgemeinschaft begründen konnte, die er später für eine von ihm zweckbestimmte Familien- bzw. Heiratspolitik zu nutzen wusste.

Doch zunächst konzentrierte sich der ehrgeizige junge Müller auf die nächstliegenden Schritte seines beruflichen Fortkommens.
Als 1665 die wirtschafltich bedeutsame Mühle der „Hausvogtei Moisburg“ mit dem deutlich höheren Pachtzins von 440 Reichstalern neu ausgeschrieben wurde, bot er sich mutig an und wurde Nachfolger von  Detlef Behrenß, der nur 306 Rtlr. gezahlt hatte. (6)
Detlef Schwar hatte die verstärkte Nachfrage nach Nahrungsmitteln erkannt und nutzte seine Chance in Erwartung eines steigenden Umsatzes und entsprechenden Gewinns. Und der Erfolg stellte sich ein: in den Folgejahren ist es ihm gelungen, so viel Kapital zur Verfügung zu haben, dass er es sich leisten konnte, Anfang der 70er-Jahre eine Initiative größeren Stils zu ergreifen. Er konnte und wollte den Bau einer weiteren Mühle ohne finanzielle Fremdhilfe an dem von ihm bestimmten Standort in Ovelgönne bewerkstelligen, um sie im vertraglichen Einvernehmen mit seinem welfischen Landesherrn für 40 Rtlr. pro Jahr zusätzlich zu bewirtschaften.

Das „Unternehmen“ Wassermühle Ovelgönne schien das Meisterwerk und bis dahin der Höhepunkt der beruflichen Entfaltung Detlef Schwars zu sein. Das sollte auch nach außen hin deutlich gemacht, sein mächtig gestiegenes Selbstbewusstsein sichtbar dokumentiert werden. Nach dem Vorbild des Adels oder des städtischen Bürgertums ließ er den Eingang seines Bauwerks mit der Jahrezahl der Erbauung und dem Titel und dem Namen des Erbauers versehen.
Dabei fällt nun eines auf: im Untscherschied zum traditionellen Brauchtum seiner o. g. Leitbilder fehlen in seinem Inschriftenstreifen die sogenannten Insignien, Kennzeichen der Würde bzw. des Standes, dem der Hausherr angehörte, die Symbole des Eigentums und des freien, vollen Bürgerrechts.

Insignien an der Tür eines Bürgerhauses (7)

Gerade diese Fundamentalrechte waren es, die dem Müller bis weit ins 19. Jahrundert hinein vorenthalten blieben. Das Müllergewerbe galt als „nicht ehrbar“, weil es, so sah es die geltende Rechtsordnung vor, der Macht und dem Willen des Landesherrn verpflichtet war und daher auch nicht würdig erschien, in die Gemeinschaft der Zunft oder der Gilde aufgenommen zu werden.(8)
Die Balkeninschrift spiegelt also einen wesentlichen Bestandteil der gesellschaftlichen Realität des 17. Jahrhunderts wider. Unser zielstrebiger Müllermeister hatte zwar das Mühlengebäude und das Mühlenwerk mit eigenen Mitteln errichtet, konnte daran aber keine Eigentumsrechte knüpfen. Was ihm blieb, waren die Nutzungsrechte eines Besitzers. Ein Müller konnte noch so tüchtig und erfolgreich sein
, er lebte formal und real im gesellschaftlichen Grenzbereich.
Die unternehmerische Dynamik Detlef Schwars fand ihre traditionell vorgegebene Standesschranken. Das hat ihn als willensstarkes Naturell mit Sicherheit maßlos geärgert und provoziert, weitere Initiative zu ergreifen, um den Titel der „Ehrbarkeit“ zumindest „in persona“ zu erringen, also für sich selber die volle gesellschaftliche Anerkennung zu erkämpfen.

Detlef Schwars Weg dorthin werde ich in Teil II „Wege zur Ehrbarkeit“ erläutern.

Quellenangaben:
(1) A. C. Förste, Ursprung und Name des Dorfes Ovelgönne (Moisburg, 1966), p. 15.
(2) Chr. Schleef, Buxtehuder Notizen 2 (Buxtehude, 1986), p. 23f.
(3) W. Benecke, Die alte Wassermühle zu Ovelgönne, ed. 4 (1999), p. 19.
(4) W. Benecke, Die alte Wassermühle zu Ovelgönne, ed. 11 (2006), p. 4ff.
(5) Kirchenbücher der ev.-luth. Kirchengemeinde Moisburg: 1. Ehe mit Dorothee N. N. (Familie unbekannt), die am 22.08.1671 verstarb.
(6) W. Meyne, Die ehemalige Hausvogtei Moisburg (Harburg – Wilhelmsburg, 1936), p. 41.
(7) Aus: „Fachwerkhäuser“, Die Schatzkammer, Bd. 40 (Prisma Verlag Leipzig, 1990)
(8) Vgl. dazu Schleef a. a. O., p. 25

Werner Benecke (+)


Unternehmerisches Talent im Zeichen feudalistisch geprägter Dominanz, Teil II: Wege zur Ehrbarkeit

Es liegen uns – epochenbedingt – zwar keine Traditionsquellen vor, die uns direkte Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt Detlef Schwars gewähren könnten, aber die uns verfügbaren schriftlichen Überreste, i. e. Amtsurkunden, Verwaltungsnotizen, Vertragstexte, Inschriften u. ä. zeichnen doch ein klares Bild darüber, dass unser Müllermeister seine Ziele weitsichtig, konsequent und klug zu erreichen wusste. Erwähnt werden muss an dieser Stelle, dass bei allen seinen Planungen, vor allem bei den weiterreichenden  Zielsetzungen, seiner Familie ein zentraler Stellenwert zugewiesen wurde. Es wurden teilweise Erwartungsfelder gebildet, in denen jeweils geeigneten Mitgliedern familienimmanente Funktionen zugeordnet wurden, um den jeweiligen Stand der Dinge bestmöglich weiterentwickeln zu können.

Aus seiner ersten Ehe stammen vier Kinder (1), von denen der älteste Sohn Claus (*1656) und die acht Jahre jüngere Anna Rebecca (*1664) bedeutsame Rollen in seinem Sinne spielten. Nachdem seine Frau Dorothea im August 1671 gesorben war, heiratete Schwar am 19. September 1672 die aus Hollenstedt stammende Ilsabe Holsten (1). Seine zweite Frau (*1646) war 16 Jahre jünger als er, und diese Ehe, aus der sieben Kinder hervorgingen, scheint die unternehmerische Dynamik des Meisters erst richtig zur Entfaltung gebracht zu habem.

Eigentlich hätte Schwar schon mit sich und den Leistungen, die er bis 1674 erbracht und vorzuweisen hatte, voll zufrieden sein können. Als Vertragsvasall des welfischen Herzogs hatte er eine tadellose Bilanz aufzuweisen, und das erwirtschaftete Kapital hatte ihn gar in die Lage versetzt, eigenständig zu handeln und für den Bau einer „eigenen“ Mühle zu investieren. Der berechtigte Stolz solle, so ist bereits ausgeführt worden, seinen sichtbaren Ausdruck im  Balken über dem Eingang zur Ovlegönner Wassermühle finden und gleichzeitig – zumindest latent – gesellschaftspolitische Ansprüche für sich und das „Mühlengewerbe“ anmelden. (2)

Das Bedürfnis Schwars, der in hochmittelalterlichen Zeiten besiegelten grundherrlichen Dominanz zu relativieren und dem fest verankerten Status der „Unehrlichkeit“ entgegenzuwirken, war offensichtlich zu der Zeit übermächtig geworden, so dass er alle Hebel in Bewegung setzte, um ein Maximum an beruflicher Rehabilitierung und – nicht zuletzt – auch an höchstpersönlicher Anerkennung in der Gesellschaft zu erzielen.

Sollte es überhaupt eine Chance geben, derart anspruchsvolle Pläne zu verwirklichen, so stellte sich ihm eine Grundbedingung: Er musste das Terrain, auf dem und für das er bis dahin gewirkt hatte, also dem feudalistisch-bäuerlichen Lebensraum, verlassen und zu neuen Ufern aufbrechen, die er nur in einem städtisch-bürgerlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem finden konnte. Seit der Wiederentdeckung und der unablässigen Weiterentwicklung der Stadtkultur im Hochmittelalter und der Renaissance, galt eine solche in Europa gemeinhin als Insel „eines freieren Rechts“, als „besonderer Rechtsbezirk“, in dem die Bürger ihre inneren Angelegenheiten und Geschäftsvorgänge immer mehr in Eigenverantwortlichkeit regeln konnten. (3)
Diese unschätzbaren Werte eines Gemeinwesens meinten Detlef Schwar und seine Ilsabe in dem nicht weit entfernten welfischen Harburg finden zu können.

Bereits 1297 hatte die damals vergleichsweise völlig unbedeutsame Ansiedlung von Fischern, Bauern, Handwerkern und Schiffern vor der „Horeburg“ das Lüneburger Stadtrecht erhalten. (4) Mit dieser Maßnahme sollte ein stärkerer Vorposten eingerichtet und graduell ausgebaut werden zur Absicherung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg im Norden und speziell auch zur Akzentuierung des welfischen Anspruches auf die Elbhoheit gegenüber dem norderelbischen Hamburg (5). Es dauerte jedoch aus unterschiedlichen Gründen relativ lange, gut drei bis vier Jahrhunderte, bis Harburg sich zu einer vergleichsweise ordentlichen Stadt entwickelt hatte. Erst im 17. Jahrhundert waren die Ausbaumaßnahmen und die poilitischen Rahmenbedingungen so weit gediehen, dass Harburg die typischen Merkmale bzw. die entsprechenden Privilegien, also die von Stadtherrn übertragenen Rechte für den Auf- und Ausbau städtischer Autonomie, aufweisen konnte: Befestigungsanlagen, einen funktionierenden Markt, ein ausgeprägtes Gilde- und Zunftwesen und – nicht zuletzt – eine eigene Gerichtsbarkeit. Als Beispiel sei hier die Bestätigung und Erweiterung der Marktrechte für das „Städtlein Haarburg“ durch Herzog Wilhelm 1684 angeführt. (6)

Marktprivileg vom 25. April 1684

In der Entwicklung Harburgs, die hier nur sehr komprimiert nachvollzogen werden kann, nahm der Wirtschaftsbereich „Mühle“ sehr früh eine bedeutende Position ein. Schon 1332/33 war die herzogliche Mühle an der Brücke über den Seevekanal fertiggestellt worden, und die beiden Komponenten, Kanal und (Binnen-)Mühle, um 1540 zur Steigerung des Arbeitsertrages erweitert und auf einen höheren technischen Stand gebracht, fanden ihre zweckmäßige Ergänzung durch die Begründung eines Kaufhauses ganz in der Nähe (7).
Der Bau einer zweiten, der sog. Außenmühle (1564), die Errichtung eines Kornhauses (1597) neben dem Back- und Brauhaus (7), der Schlossanlage sowie die Errichtung eines Kornmagazins (1645)(8) dienten offensichtlich sowohl der Förderung des Getreidehandels, als auch der Deckung des steigenden Bedarfs an Nahrungsmitteln auf dem Lokalmarkt.
Alle diese Maßnahmen erhöhten im Zuge einer fortschreitenden Arbeitsstellung die Nachfrage nach qualifizierter Arbeit im Handwerks- und Dienstleistungsbereich. (9)

Dies verdeutlicht der folgende Auszug aus der Auflistung der städtischen Berufskategorien anhand der Dokumentation einer Einwohnerzählung von 1725. (9)

Auflistung der Berufe in Harburg zur damaligen Zeit

Gemeinhin muss festgestellt werden, dass die Attraktion Harburgs bis zum Ende des 17. Jahrhunderts stetig wuchs und die Einwohnerzahl dementsprechend auf fast 4.000 stieg. (10) Ende der 70er-Jahre orientierte sich also auch Detlef Schwer zunehmend dorthin, um die Vorteile städtischer Lebensformen für die Befriedung seiner persönlichen Bedürfnisse in Anspruch zu nehmen und als Müller endlich ein Mehr an „Ehre“ zu erringen. Die „ans Amt gehörigen Mühlen“, die „Binnen“- und die „Butenmöhl“, schienen in einem werkgerechten, soliden Zustand zu sein (11) und boten durch ihre Eintragung ins „Harburger Erbregister von 1667“ generelle Rechts- und Kalkulationssicherheit. (12)

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird Schwar seine bestehenden Beziehungen zum herzoglichen Haus in Celle und den guten Ruf, den er dort genoss, ins Spiel gebracht haben, als es für ihn darum ging, sich die umworbene Position eines fürstlichen Pachtmüllers in der Stadt Harburg zu sichern. Zu Ostern 1680 (14) war es dann entschieden: er konnte die begehrte Stellung beziehen und zog mit Ilsabe entgültig nach Harburg. Sein ältester Sohn Claus war inzwischen 24 Jahre alt und wohlvorbereitet, die Leitung der Mühlen in Moisburg und Ovelgönne zu übernehmen, so dass der Familienpatron sich voll und ganz auf seine städtisch orientierten Zielsetzungen konzentrieren konnte.

Die Binnenmühle, später Schloßmühle: Jahrhundertelang hatte die Binnenmühle das Ende der Schloß- und den Beginn der Mühlenstraße markiert, die hier ineinander übergingen. Heute liegt der Schloßmühlendamm, wie die Mühlenstraße seit 1950 heißt, auf direktem Wege unerreichbar jenseits von Straßen und Eisenbahngleisen. (11)
Harburg, alte Mühle am Außendeich: Herzog Otto II. ließ den von Sinstorf kommenden Mühlenbach stauen und errichtete 1556 die Wilstorfer Mühle – auch „Buten-“ oder „Außenmühle“ genannt – am Außenmühlenteich. Deutlich zu erkennen sind der Mühlendeich im Vordergrund und links das Mühlengebäude. (13)

Denn der gewiefte Taktiker hatte inzwischen noch eine zweite Initiative ergriffen, die vor allem im Zeichen seiner gesellschaftlichen Statusverbesserung stand, also der Integration in die städtische Gesellschaft dienen sollte. Er hatte offenbar in Erfahrung gebracht, dass das Interieur der Sinstorfer Kirche erneuert und im Stil der zeitgenössischen Kunst, des Barock, ausgeschmückt wurde, bzw. werden sollte. Und er wusste mit Sicherheit auch, dass solche Umbau- und Verschönerungsarbeiten enorme Kosten verursachten, und dass Stifter vonseiten des kirchlichen Bauherrn dort willkommen waren. Also stellte er sich in die seit Renaissancezeiten gepflegte Tradition des städtischen Bürgertums, das im Stolz auf die erbrachten unternehmerischen Leistungen großzügige Spenden, z. B. die eines kostbaren Fensters, mit Namen und/oder dem Zeichen seiner Zunft in der Kirche für die Öffentlichkeit dokumentierte und präsentierte.

In der altehrwürdigen Kirche zu Sinstorf waren bis 1643 bereits eine Empore gefertigt und der Altar neu gestaltet worden (15), und es gab auch schon eine neue aus Holz geschnitzte Kanzel, die jedoch in dem ansosten so farbenfreudig aufgemachten Kirchenraum recht unscheinbar wirkte. Hier nun trat Detlef Schwar auf den Plan und verband das Nützliche mit dem ihm Genehmen: Er bot sich als Stifter für die Ausschmückung der Kanzel an und stellte seine Bedingungen, die von der Anordnung der Kunsttafeln geradezu ablesbar sind: Im oberen Bereich der Brüstung sind die vier Evangelisten figuriert, in der unteren Reihe finden sich neben zwei christlichen Sinnbildern, dem Pfau und dem Pelikan, der doppelköpfige Adler des Reichswappens und das Wappenbild des Herzogtums Lüneburg, jeweils in goldenen Farben. An zentraler Stätte des Kirchensaals, eingerahmt von höchster Wertesymbolik des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, lässt sich der Stifter sein Denkmal setzen.

Die Originalinschrift lautet: M. Detleff Schware f:L: Pacht Müller in Harburg Hat Diese gantze Cantzel und Armen Kasten Gott zu Ehren Zieren lassen. Anno 1680

Das könnte als bloßer Akt der Frömmigkeit oder auch der Dankbarkeit für die kurz zuvor übernommenen Mühlen (16) gedeutet werden. Aber die vornehmlich merkantil orientierte Mentalität Schwars weist auf eine weitergehende Interpretation hin.
Es ist für jene Zeit des späten 17. Jahrhunderts schon ein außergewöhnlicher Vorgang, dass ein Mensch, der aus einfachen Verhältnissen stammte und dazu noch von Berufs wegen als „bescholten“ galt, einen traditionell vom Adel und von dem (Groß-) Bürgertum besetzten Bannkreis durchbrach und, bei aller Loyalität zu seinem Herrscherhaus, aus einem enorm gewachsenen Selbstgefühl heraus das berufliche und gesellschaftliche Gleichheitsgebot geradezu ins Bild setzen ließ.

Diese meine Interpretation macht vor allem auch Sinn im Hinblick auf das real bezogene Ziel, das Detlef Schwar ansteuerte, nämlich den Erwerb der vollgültigen Mitgliedschaft der Stadtgemeinde. Da er ein Zugereister war, musste er gewisse Bedingungen erfüllen, inbesondere bekunden oder besser noch konkret beweisen, dass er bereit war, sich für das Wohl des Gemeinwesens zu engagieren. Das Unternehmen Sinstorf erwies sich insofern als meisterhafte Inszenierung zum Erwerb des angestrebten Bürgerrechts, denn schon wenig später hatte er das Vertrauen der Stadtoberen vollends erworben.

Mit großer Genugtuung wird er in jenem Zeitraum auch die Eheschließungen seiner beiden ältesten Kinder zur Kenntnis genommen haben, passten doch diese ideal in sein Konzept. Sein ältester Sohn heiratete im Februar 1682 in Harburg die Tochter eines Chirurgen, also direkt hinein in den etablierten städtischen Mittelstand. Der Brautvater wird offiziell als „Ehrenvester und Kunsterfahrener Burg und Gräflich bestallter Chirurg zu Stadthagen“ (17) betitelt.
Kurz darauf, am 17. April 1682, wird die Ehe seiner Tochter Rebecca mit Daniel Heinsz, dem Sohn eines Zimmermeisters aus Moisburg, ebenfalls in Harburg, vollzogen. Der diesbezügliche standesamtliche Eintrag wird ihn besonders gefreut haben, denn er verweist auf seinen unmittelbar bevorstehenden großen Auftritt. Er wird von Amts wegen mit dem Prädikat „ehrbar“ tituliert: „… Meister Daniel Heyns … und Jfr., Rebecca Schwaren, des Erbaren und Wohlgeachteten Meister Deitleff Schwaren, bestalten Müllers alhie, eheliche Tochter.“ (18)

Am 8. Mai 1682 (19) konnte er dann feierlich den Bürgereid leisten, und das bedeutete für ihn den Empfang der rechtlichen und sozialen Gleichstellung innerhalb des städtischen Gemeinwesens. Im Rahmen der gültigen Rechtsordnung waren die Türen für weitere Entfaltungsmöglichkeiten geöffnet worden.

Und die wusste er mit der ihm eigenen Cleverness zu nutzen. Die folgenden Auszüge aus der „Harburger Bürgerkartei“(20) verdeutlichen, dass er dem ideologisch begründeten Anspruch, nur der könne ein guter und verantwortungsvoller Bürger sein, der ausreichend über (Privat-)Eigentum verfügt, voll entsprechen wollte. Er kaufte sich regelrecht als Neubürger ein, erwarb zwischen 1686 und 1688 Immobilien und die Lizenz für einen Marktstand.

Das für die Abwicklung dieser Geschäftsvorgänge notwendige Kapital wird er aus eigenen Rücklagen, mit hoher Wahrscheinlichkeit aber vorwiegend durch die Veräußerung der Ovelgönner Wassermühle beschafft haben, denn, so stellt W. Meyne fest, „Als im Jahre 1687 Detleff Schwars Pachtzeit ablief, übernahm der Amtmann Wihelm Breiger auf drei Jahre beide Mühlen für jährlich 500 Rthl., dann Ostern 1690 Heinrich Holste für den gleichen Pachtpreis …“ (21).
Das heißt, dass das Amt Moisburg Schwars Eigentum, die Wassermühle Ovelgönne, erstanden haben muss.

Frau Ilsabe scheint bei diesen Unternehmungen eine familienpolitische Rolle gespielt zu haben, zumindest nutzte sie den im Stadtrecht verankerten Tatbestand, dass Frauen ihren Männern zivilrechtlich gleichgestellt waren, in vollem Maße. Entsprechend sorgte sie dafür, dass sie das neu erworbene Eigentum gleichberechtigt mit verwaltete und als einzige Erbberechtigte ihres Ehepartners galt, somit die alleinige Nachfolge bezüglich des Verfügungsrechts über das o. g. Kapital antreten würde. Ihr Stiefsohn Claus wurde 1691 mit peinlich wirkenden „zehen – Pfennig – Geld“ (20) dafür ausgezahlt, dass er knapp eineinhalb Jahre nach dem Tod seines Vaters Harburg verließ und sich in Aumühle eine eigene Existenz aufbaute.

Im Dezember 1689 starb Detlef Schwar, seine Bestattung erfolgte am 23. Dezember 1689 in Harburg. (16)

Sicherlich hat Detelf Schwar die Grundfesten der bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse seiner Zeit nie gemeinhin in Zweifel gezogen, aber er hatte doch immer den Drang verspürt, Akzente zu setzen, um seinen herabgesetzten Berufsstand durch harte Arbeit und den Einsatz flexibler Strategien aufzuwerten und zu rehabilitieren.
Seine Rolle als Vater und Betriebsherr hat er ganz offensichtlich immer so verstanden, dass er die von ihm höchstgeschätzten Grundwerte und Verhaltensweisen zur Erreichung dieses übergeordneten Zieles in der Familie und in seinem gesellschaftlichen Umfeld beispielhaft vorlebte. Seine Kinder, so scheint es, wurden von frühester Zeit an auf seine Leitlinien eingeschworen und motiviert, immer das zu tun, was getan werden musste oder sollte. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sie, soweit sie bis ins Erwachsenenalter überlebt hatten, sein Vermächtnis im ideellen Sinne übernahmen, d. h. sein Lebenswerk nach seinem Tod in Eigenregie weiterführten.

Als Hermann Garbers sich seit den frühen 90er Jahren von Maracay (Venezuela) und später von Hanstedt aus auf die Suche nach seinen Vorfahren machte, ist er „zeitlich rückwärtsschreitend“ (23), auf Schwars älteste Tochter als seine Urmutter in der 10. Generation gestoßen. Wie bereits in einem anderen Zusammenhang erwähnt, ist Rebecca 1664 in Moisburg geboren worden und hat den Müllermeister Daniel Heinsz 1682 in Harburg geheiratet. Danach haben die beiden die Seppenser Mühle betrieben und von dort aus eine verzweigte und beziehungsreiche Stammverwandschaft aufgebaut.  Da ihre Mühle zu „denen ans (Harburger) Amt gehörigen“ (12) zählte, liegt es nahe, dass sie als direkte Nachkommen und engste Vertraute ihres Vaters federführend bei der Abfassung der Petition von 1696 an den Herzog von Celle waren, in der im Namen der Müller in den Ämtern Harburg und Moisburg die „Erteilung von Amts- und Gildebriefen“ und die Belehnung mit „Amts, Gilden und Zunft meßiger Gerechtigkeit“ angefordert wurde. (21)
Was Detlef Schwar jedoch am meisten gefreut hätte, war folgende Gegebenheit: Als sein Großsohn Hans Detlef 1714 den Vater als Mühlenpächter dort ablöste, war er es, „der die ersten Schritte zum vollen Privateigentum wagte“. (24)

Auch Georg Schwar aus Neustadt a. Rbge. versuchte seit 1915, seine Vorfahren zu erkunden, und er fand heraus, dass Hans Albrecht Schwar, der 1677 geborene Sohn Detlef und Ilsabe Schwars, sein „direkter Ahne“ war. (25)
Das von W. Kranz erstellte Familienblatt weist Hans Albrecht Schwar als „Mühlenmeister“ auf der Ratsmühle in Lüneburg und seit 1706 als Pächter der Lüner Mühle aus. (26) Weitere Schwar Nachkommen sind in anderen Regionen Norddeutschlands als tüchtige Müllerfamilien registriert.

Es ist also richtig und mehr als angemessen, wenn Georg Schwar feststellt, dass „die Schwars eine nicht unbekannte Müllerfamilie“ seien, „in der sich das Müllerhandwerk … fortgesetzt hat, vornehmlich im Lüneburger Land“ und mit dezent artikuliertem Stolz darauf hinweist, dass Detlef Schwar „der älteste nachweisliche Ahn“ sei, der, das hat er wohl gemeint, das Fundament gelegt und die Weichen für eine prosperierende Zukunft gestellt hat.

Quellenangaben:
(1) H. Garbers, Genealogische Nachforschungen, Maracay/Hanstedt 1992 ff.
(2) W. Benecke, Detlef Schwar: Unternehmerisches Talent im Zeichen feudalistischer Dominanz, Die alte Wassermühle zu Ovelgönne, ed. 12, p. 11 ff.
(3) vgl. E. Fuchshuber-Weiß u. a., Die Herausbildung des modernen Europa, Bamberg 1985, p. 33 ff.
(4) K. Richter, Von der Burg zur Mietskaserne: Das Harburger Schloß, p. 17
(5) L. Hellberg u. a., Harburg und Umgebung, Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Hamburg 1999, p. 25
(6) Aus: F. Lübbers, Harburg, Vom Werden und Wirken der Stadt und dem Leben ihrer Bürger, Harbuger Jahrbuch, 1940/41, p. 54 f.
(7) L. Hellberg u. a., a. a. O., p. 25 f.
(8) G. Schröter u. a., Die Geschichte einer deutschen Stadt zwischen Königtum und Diktatur, Hamburg, 1969, p. 15
(9) F. Lübbers u. a., a. a. O., p. 54f.
(10) G. Schröter u. a., a. a. O., p 15
(11) M. Werth-Mühl, Unterwegs im alten Harburg, Helms Museum Harburg 1988, p. 15
(12) D. Kausche, Bearb., Harburger Erbregister von 1667, Verein für Hamburgische Geschichte Hamburg 1987, p. 110
(13) Aus: U. Schubert/J. Ehlers, Harburg im Wandel, Medienverlag 1991, p. 18; p. 52
(14) Georg Schwar, Neustadt a. Rbge., Genealogische Nachforschungen, Brief vom 27.03.1940 an das Staatsarchiv Stade
(15) G. Timm/L. Lemke, 1150 Jahre Kirche zu Sinstorf, Hamburg 1998, p. 8; p. 18
(16) H. Garbers, a. a. O., Tab. 558: „Sicher war er ein sehr frommer Mann, denn er stiftete …“
(17) Familienblatt für Claus Schwar …, erstellt von W. Kranz, Hamburg 2001
(18) Trauregister Harburg/Stadtkirche, Jg. 1682, S. 14., Nr. 11, Abschrift gefertigt von W. Kranz, Hamubrg 1993
(19) Lt. Angaben des Staatsarchivs Hamburg, G. S. 153, Bd. 7, S 153 – 154
(20) Bürgerkartei, „Schware, Detleff“ bzw. „Schware, Ilsabe“, edd. durch das Helms Museum Harburg nach Unterlagen im Staatsarchiv Hamburg
(21) W. Meyne, Die ehemalige Hausvogtei Moisburg, Harburg – Wilhelmsburg 1936, p. 129
(22) H. Garbers, a. a. O.
(23) vgl. W. Benecke, Die alte Wassermühle zu Ovelgönne, ed. 11, 2006, p. 5 f.
(24) H. Garbers, a. a. O., Tab 278/279
(25) G. Schwar, Brief vom 18.04.1940 an das Staatsarchiv Stade
(26) Familienblatt Hans Albrecht Schwar, erstellt von W. Kranz, 2005

Werner Benecke (+)