Neue Erkenntnisse über die Wassermühle in Ovelgönne
Mein Bericht über die Möglichkeiten zum Sieben (Sichten) des Mehles in Heft 4 vom September 1999, verbunden mit Gedanken über eine evtl. früher vorhandene ähnliche Möglichkeit in der Wassermühle Ovelgönne, ließ bei mir die Idee reifen, eine nähere Untersuchung des Mühlengebälks vorzunehmen.
Die Ovelgönner Wassermühle ist ein relativ alter Bau, deren Gebälk eine Vielzahl von Spuren früherer Umbaumaßnahmen aufweist. Zu einem grundsätzlichen Ergebnis kommt der aufmerksame Beobachter schon bei der Ansicht der Mühleninnenraumes bzw. beim Betrachten von Querschnittszeichnungen dieser Mühle: das Gebäude wurde als Wohnhaus und Mühle zugleich genutzt, wobei die Mühle nur ungefähr 1/3 der Nutzfläche einnahm.
Kombinationen von Mühle und Wohnhaus in einem Gebäude sind für Wassermühlen dieser Bauzeit (1674) nicht unüblich. Wassernmühlem mit dem damaligen Stand der Technik benötigten auch nicht sonderlich viel Platz; insbesondere dann, wenn es sich wie hier in Ovelgönne um eine Mühle mit nur einem Malgang gehandelt hat.
Die Ovelgönner Mühle ist eine vergleichsweise sehr kleine Wassermühle, die man in einigen Niedersächsichen Regionen als „Hofmühle“ bezeichnen würde.
Betrachten wir und die Geschichte der Mühle in der Anfangszeit näher, so erklärt dies Einiges. Der Erbauer der Mühle, Meister Detlef Schwar, war von dem Bau der Ovelgönner Mühle im Jahre 1674 Pächter der Moisburger Wassermühle. Diese war im Besitz des Amtes Moisburg und von Bau und Einrichtung her eine Wassermühle damals durchschnittlicher Größe. Dass Detlef Schwar sich selbständig machen durfte, war in damaliger Zeit nicht einfach und mit Auflagen verbunden. Es durfte nur eine bestimmte, meist geringe Mahlmenge produziert werden, bzw. es wurden Menge und Art des Produktes erst nach Feststellung der Notwendigkeit unter Rücksicht auf die schon vorhandenen Mühlenkapazitäten vom Staat errechnet. Es erscheint logisch, dass die Ovelgönner Mühle stets nur die Versorgung weniger Einwohner gewährleistete (und gewähleisten sollte!) und möglicherweise in früherer Zeit als Beibetrieb eine Landwirtschaft geführt wurde.
Obwohl die Mühle ein recht hohes Alter aufweist, liegen nahezu keinerlei Unterlagen über die Entwicklung ihrer technischen Anlagen in den früheren Jahrhunderten vor. Mag die heutige Inneneinrichtung auch den Eindruck erwecken, sie hätte auch beim Bau der Mühle schon so installiert gewesen sein können, so lässt sich anhand von Details beweisen, dass dem nicht so ist. Dass die erhaltene Technik nahezu dem Stand einer sog. „Altdeutschen Wassermühle“ entspricht, fällt in einer Region wie dieser, wo man schon vergleichsweise früh im Mühlenbau neue Wege beschritt und technische Neuerungen gegenüber aufgeschlossen war, besonders auf.
Betrachtet man das Getriebe der Mühle genauer, so sind schon Änderungen feststellbar. Da die Mühle den Mahlgang über ein stehendes Zwischengetriebe in Form einer Königswelle antreibt, besitzt sie wiederum zu dessen Antrieb ein hölzernes Winkelgetriebe in Form von Kammrad und Bunkler. Beide Räder weisen eine äußerst seltsame Stellung zueinander auf. Während das Kammrad mit der Rückseite in den Raum schaut, greift der Bunkler von unten innnen in dessen Kämme hinein; eine äußerst komplizierte und genaue Verkämmung ist hierbei nötig.
In gewöhnlichen Wassermühlgetrieben dieser Bauart, von der es gerade im mittelniedersächsichen Raum noch etliche Beispiele gibt, ist die Anordnung genau umgekehrt: Das Kammrad zeigt mit den Kämmen in den Raum und der Bunkler greift von oben ein.
Ein von oben greifender Bunkler ist im hiesigen Falle jedoch nur mit Kompromissen bzw. gar nicht möglich, da die Mühle über eine Mahlbühne verfügt, die nur knapp über der Oberkante des Kammrades abschließt. Schlussfolgerungen daraus: das jetzt vorhandene Getriebe der Königswelleist ein nachträglicher Einbau, über dessen Baujahr man jedoch nur unklare Mutmaßungen anstellen kann.
Dem jetzigen Getriebe muss ein einstufiges Winkelgetriebe vorausgegangen sein, welches über ein Kammrad und ein Stockrad den Mahlgang direkt von unten angetrieben hat. Dieses entspräche auch dem genauen Grundprinzip der „Altdeutschen Wassermühle“. Es ist davon auszugehen, dass das heutige hölzerne Kammrad auf der Wasserradwelle aus dieser Zeit noch original erhalten ist, möglicherweuse noch vom Bau der Mühle 1674 stammt. Darauf deutet hin, dass das Rad ursprünglich mit einfachen 2 Speichen durch eine starke hölzerne Welle gesteckt war und nicht, wie bis heute erhalten, mit 4 doppelten Speichen um eine eiserne Welle herumgelegt wurde. Über das „Warum“ des nachträglichen Umbaus auf Könnigswellenantrieb gibt es eine kogische Schlussfolgerung: man versuchte mit der Mühle nicht nur einen Mahlgang, sondern mehrere Gänge oder andere Maschinen anzutreiben, was im hiesigen System nur durch eine Königswelle mit zerntrakem Stirnrad erfolgen konnte.
Dass in der Ovelgönner Mühle jemals mehr als ein Mahlgang gelaufen ist, darf man ausschließen, weder das spärliche Platzangebot noch etwaige Reste im Balkenwerk deuten darauf hin. Über den Betrieb anderer Maschinen ist erstaunlicherweise mehr bekannt. Wir wissen aus alten Abbildungen un können auch am vorhandenen Bestanf noch erkennen, dass vom Stirnrad der Königswelle eine stehende Eisenwelle betrieben wurde, die über ein Winkelgetriebe eine liegende, nach weit außerhalb des Gebäudes führende Welle antrieb, dei alten Erzählungen nach, mit einer Dreschmaschinen gekoppelt war.
Es mögen auch noch weitere landwirtschaftliche Maschninen daran gekoppel worden sein. Bendenken wir jedoch, dass die Automatisierung und Mechanisierung der Landwirtschaft erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzte, so wäre der Umbau der Mühle demnach erst in dieser Zeit erfolgt.
Eine andere Vermutung für den recht späten Umbau des Getriebes in dieser Zeit könnte man u. U. in der Person des ausführenden Mühlenbauers suchen. Leider ist dieser wie so oft nirgends festhalten, dennoch tauchen in der Mühle Teile auf, die aller Wahrscheinlichkeit nach aus der Feder des bekannten Mühlenbaumeisters Dobbert aus Boizenburg (Kr. Ludwigslust in Mecklenburg) stammen. Dazu gehören beispielsweise der Steinkran, der Spurtopf (Unterlage des Mahlganggetriebes) und der Obernbau des Mahlganges. Diese Dinge sind identisch mit Teilen in nachweislich von Dobbert erbauten Mühlenanlagen.
Wie so oft in der Geschichte des Handwerks sind zwar die Werke der Meister im einzelnen näher beschrieben worden, nicht jedoch die Lebensgeschichte des Meisters selber. Auch über Dobbert gibt es nur äußerst wenig Daten. Erhalten geblieben sind ein paar Bauzeichnungen dieses Meisters, die im Hauptsaatsarchiv Hannover aufbewahrt werden, und die mündliche sowie teils schriftlihe Überlieferung, an welchen Mühlenbauten er beteiligt war bzw. die von im gänzlich ausgeführt worden sind. Zwei Windmühlenbauten, nämlich die Leiwitzmühle ind Banzkow (LKr. Parchim) und die Mühle „Johanna“ in Hamburg-Wilhelmsburg sind als sein Werk nachgewiesen, ebenso Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen an der Riepenburger Windmühle in Hamburg-Kirchwerder. Alle diese Bauten fallen in die 1870er-Jahre.
Laut Staatsarchiv Hannover hat er auch an Wassermühlen gerarbeitet, beispielsweise einen Umbau der Mühle Wustrow (Kr. Lüchow-Dannenberg) durchgeführt. Interessant sind in diesen vorhandenen Angaben über Dobbert die angegebenen Jahreszahlen, nach welchen an seine Wirkungszeit ungefähr eingrenzen kann. Demnach lag die Zeit seiner Hauptbetätigung in den Jahren zwischen 1850 und 1890.
Es war eine Zeit, als im Mühlengewerbe viele Umbrüche stattfanden: die Gewerbefreiheit wurde eingeführt, neue Werkstoffe (Gusseisen, Stahl) verdrängten im Mühlenbau den alten Werkstoff Holz, neue Mahlverfahren mit Automatisierung traten auf, der Mühlenbauer wurde mehr und mehr zum Ingenieur.
Aus dem Mecklenburgischen kamen damals einige Mühlenbauer in andere Regionen. Dieses Land hat besonders im Windmühlenbau eine hohe Qualität hervrogebracht. Einer der bekanntesten Mühlenbaumeister seiner Zeit, Ludwig Tiedt, aus dem Orte Alt-Sammit nahe dem meklenburgischen Goldberg stammend, kam beispielsweis 1849 im Zuge seiner Wanderschaft als Zimmerer- und Mühlenbauergeselle nach Peine, ließ sich dort nieder und errichtete später in dieser Region mehr als 50 neue Windmüjlen.
Unser Meister Dobbert mag allem Anschein nach auch in erster Linie ein Windmühlenbauer gewesen sein. Wäre das Königswellengetriebe in Ovelgönne wirklich nachweislich auch seiner Hand, so mag dieser windmühlentechnische Einfluß evtl. auch zu dessen Einbau beigetragen haben. Den Antrieb von oben auf die Mahlgänge durch ein stehendes Vorgelege (Königswelle) finden wir eben in allen Windmühlen holländischen Typs in der näheren Umgebung bis in den äußersten Westen Mecklenburgs hauptsächlich vor.
Am Getriebe der Ovelgönner Mühle ist zudem noch eine weiter Tatsacht auffällig: das relativ kleine (D = 1,90m) Stirnrad der Königswelle ist lediglich durch zwei gekreuzte, durch die Welle gesteckte Speichen befestigt. In dieser Region ist es jedoch üblich, ein solches Rad durch doppelte, um die Welle herumgelegte Speichen zu befestigen. Die hier verwendete Bauart deutet entweder auf ein recht frühes Baujahr der Teile (in hiesiger Region vor dem 18. Jahrhundert) oder auf dem Einfluss eines von weiter östlich herstammenden Mühlenbauers hin.
Im Osten Deutschlands und noch weiter östlich davon sind nämlich Holzräder mit einfachen durchgestreckten Speichen sehr häufig anzutreffen, eher sogar die Regel. Das Baujahr vor dem 18. Jahrhundert möchte ich hier in Ovelgönne ausschließen, eher gehe ich davon aus, dass jener Getriebeumbau unter dem Einfluss oder sogar unter der Regie ostdeutscher (mecklenburgischer) Mühlenbauer ausgeführt wurde.
Dass der Umbau durch Dobbert in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgeführt wurde, würde sich mit vorgenanntem Nutzen der Mühle zum Betriebe landwirtschaftlciher Maschinen dieser Entstehungszeit decken.
Rästel geben aber nun noch mehrere Löcher im Gebälk auf. Neben dem Absackrohr des Mahlganges befindet sich beispielsweise im Längsbalken der Mahlbühne noch ein zweites Loch für ein weiteres Rohr. Dieses deutet darauf hin, dass man hier zusätzlich an den Mahlgang eine Siebmaschine hätte koppeln können, um Mehl für Backzwecke und gröbere Bestandteile (Kleie, Gries) trennen zu können. Im jetzigen Zustand des Mühlengebälks under Mühlentechnik lassen sich jedoch keinerlei Schlüsse mehr auf Art, Antrieb und Größe einer so evtl. vorhandenen Siebmaschine (Sichter) ziehen.
Ein weiteres Rätsel gibt und eine innen an der Wassermauer über dem Niveau der Mahlbühne angebrachten Holzplatte mit einem gewltigen Zapfenloch auf. Auf der gegenüberliegenden Seite der Mahlbühne ist in deren oberen Längsbalken noch ein Schlitz für eine ebensolche Platte zu erkennen. Allem Anschein nach hat hier in ca. 80cm Höhe über der jetzigen Mahlbühne ein starker Balken quer über diese hinweggeführt. Sinn und Zweck des Ganzen geben Rätsel auf.
Nun wäre eine vage Vermutung anzumerken: vielleicht sind dies die Reste der ganz alten, ursprünglichen Mahlbühne von 1674, die demnach etwa 80cm höher als die jetzige lag. Decken würde sich diese Vermutung wiederum mit der Lage des Kammrades und der Wasserwelle, welches, wie schon im Text erwähnt, nur sehr knapp unter der jetzigen Mahlbühne endet.
Mit der größten Wahrscheinlichkeit, dass es sich hierbei im Ursprung um eine eingängige Mühle mit einstufigem Getriebe gehandelt hat, hätte das vom Kammrad betriebene Stockrad des Mahlganges viel zu unter der Bühne gesessen, u. U. gar nicht darunter gepasst. Nur mit einer höher gelegenen Mahlbühne wäre dieses einfache Getriebesystem ohne die Königswelle überhaupt vernünftig möglich gewesen. Dass Teile der Mahlbühne bei einem späteren Umbau u. U. wiederverwendet wirden sind, dürfte als typisch erscheinen. Der Längsträger mit den zwei Absacklöchern dürfte dann mit Sicherheit dazugehören.
Eine Vermutung wäre, dass die Overlgönner Mühle im Ursprung eine typische „Altdeutsche Mühle“ mit Mahlgang, einstufiger Getriebeübersetzung (Kammrad-Stockradgetriebe) und Siebevirrichtung gewesen ist, später (vermutlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts) auf Königswellenantrieb mit der Möglichkeit zum Betrieb weiterer externer landwirtschaftlicher Geräte aber in der Nutzung als reine Schrotmühle (ohne Siebvorrichtung) umgebaut worden ist.
Das hier gesagt über die technische Ausstattung der Mühle ist bislang alles, was in Erfahrung gebracht werden konnte. Alte Akten in Staatsarchiven gehen mit dieser Mühle ebenfalles sehr spärlich um. Sie ist beispielweise häufig nur in Verbindung mit der Moisburger Mühle erwähnt. Auffällig ist zudem, dass die Mühle in der bekannten „Niedersächsischen Mühlengeschichte“ von Wilhelm Kleeberg 1964 nur unter der Moisburger Mühle Erwähnung findet, indem er schreibt, dass der Mühlenpächter Schwar 1674 die neuerbaute Mühle in Ovelgönne übernommen habe. Für Ovelgönne selber erwähnt Kleeberg lediglich ein Vermerk, dass 1932 hier ein Windmüller Wilhelm Hoppe genannt wird.
Quellen:
Wilhelm Kleeberg: „Nieders. Mühlengeschichte“, Detmold 1964
Stadtarchiv Hamburg: Angaben über die Riepenburger Mühle
Nieders. Hauptstaatsarchiv Hannover: Bauzeichnungen der Wassermühle in Wustrow
Staatsarchiv Peine: Angaben über den Mühlenbauer Tiedt
Rüdiger Hagen, Wedemark