325 Jahre Ovelgönner Wassermühle: ein „historisches Kleinod“
„Ein heute leider selten gewordenes Bild“ biete sich dem aufmerksam-sensiblen Besucher der Ovelgönner Wassermühle, „die Harmonie von Gebäude und Landschaft“ habe sich „hier am östlichen Ortsrand von Ovelgönne ohne Störungen erhalten“, so umschreibt der Hochschulprofessor Dr. Meyer-Bruck(1) das Ambiente am Mühlenteich 1986, i. e. nach gerade vollendeter, in jeglicher Beziehung gelungener Restaurierung des historischen Gebäudes und des Mühlenwerks.
Ähnlich wird auch Detlef Schwar, seit 1665 erfolgreicher Pächter der bedeutsamen Amtsmühle zu Moisburg(2), die Schönheit und den Reiz der charakteristisch niederdeutschen Landschaft dort wahrgenommen und genossen haben, allerdings war das Interesse des tüchtigen Müllers in welfischen Diensten primär materiell ausgerichtet. Schließlich befand man sich nach all´den Zerstörungen und Verwüstungen, die der dreißigjährige Krieg angerichtet hatte, in den Jahren des Wiederaufbaus, und im Zeichen des wirtschafltichen Aufschwungs wurden auch die Leistungen des Müllerhandwerks verstärkt nachgefragt.
Also suchte und fand Detlef Schwar um 1670 in Ovelgönne an einem bereits vorhandenen Fischteich den idealen Standort für den Bau eines weiteren Mahlbetriebes. Diese seine Initiative hatte die volle Unterstützung seines Landesherrn in Celle, lag sie doch ganz auf der Linie der welfischen Territorial- und Machtpolitik. Es konnte und sollte, so hat A. C. Förste(3) überzeugend nachgewiesen, „nach den ersten Bauernstellen und dem Amtsvorwerk“ die Mühle „der dritte und letzte Bestandteil des alten Ovelgönne werden“, der Ort als Vorposten der Grenz- und Nutzungsstreitigkeiten mit dem bremischen Buxtehude weiter aufgebaut und verstärkt werden.
Und nicht zuletzt war dem als „weltmännisch gebildet und prunkliebend“ geltenden Barockfürsten Georg Wilhelm zu Celle jede weitere Mühe als Einnahmequelle zur Finanzierung seiner Repräsentationsambitionen willkommen. Während der Herzog also das Celler Schloss umbauen und erweitern ließ und die Anlage eines `Französischen Gartens´ in Auftrag gegeben hatte, baute Meister Schwar — auf eigene Kosten und in Eigenregie — eine weitere Produktionsstätte, die Ovelgönner Wassermühle, um anschließend für einen relativ günstigen Jahrespachtzins von 40 Reichstalern das Mahlrecht übertragen zu bekommen.
Schwar muß mächtig stolz auf die kleine von ihm eigenständig errichtete Mühle in rustikaler Schönheit gewesen sein, hat er sich doch, eingeschnitzt im Balken der Eingangstür, sein eigenes historisches Zeugnis gesetzt, das gleichzeitig Aufschluss gibt über die sozioökonomischen Zusammenhänge jener Zeit.
Kurz vorher waren nämlich die Umbauten des Celler Schlosses „nach venezianischem Vorbild“(4) abgeschlossen worden, das bezeugt die in einem der Giebel in goldenen Ziffern prangende Jahreszahl 1670. Beide historischen Dokumente, bezieht man sie aufeinander, verdeutlichen die Zusammenhänge traditionell gültigen Rechts und der gesellschaftlichen Realität im 17./18. Jahrhundert: barockfürstliche Prachtentfaltung wurde erkauft mit den Leistungsanforderungen und der Arbeitskraft der von der Grund- und Landesherrschaft Abhängigen, und die Einkünfte aus den Mühlengeschäften waren nicht unerheblich.
Für den Müller bedeutete dies, weiterhin fleißig zu sein, in „seinen“ Mühlen in Moisburg, Ovelgönne und später noch an der Harburger Aussenmühle (heute HH) optimal zu wirtschaften und im Übrigen standesgemäß bescheiden zu sein. Diese Rahmenbedingungen sind in der Anlage und Strukturierung des Ursprungbaus der Ovelgönner Mühle von 1674 geradezu ablesbar:
Die von der Fachhochschule Buxtehude durchgeführte Bauaufnahme beweist, dass von der insgesamt vorhandenen Raumkapazität von 73,5qm nur 13,5qm aufgeteilt in drei winzige Kammern, entsprechend einem Fach(-werk) von 2,00m Breite, für Wohnzwecke reserviert waren, d. h. ca. 82% der Räumlichkeiten war in funktionaler Ordnung dem Arbeitsprozess vorbehalten: Getriebekeller, Mahlboden, Stapel- und Arbeitsraum des Müllers forderten Priorität.
An dieser Anordnung hat sich bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein nichts geändert, dann aber stiegen die Wohnansprüche auch der gemeinen Leute offensichtlich an, und so wurde auch die Wohnfläche der Ovelgönner Mühle nach Westen hin verdoppelt, d. h. das Gebäude um ein Fach vergrößert, und sogar mit einer wärmedämmenden Lehmstakendecke ausgerüstet(5). Allerdings musste die Müllersfamilie noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunders warten, dass die „Schwarze Küche“ mit offenem Herdfeuer verschwand und durch den Bau eines Schornsteins ein geregelter Rauchabzug ermöglicht wurde.
In diese Zeit der Industrieentwicklung fallen auch eine Reihe technischer Innovationen am Mühlenwerk, vor allem wurde das anfällige Holz für die Außenanlagen, den Kähner und das Mühlrad, durch Eisenmetall ersetzt, aber auch Grunderneuerungen am Getriebe im Inneren vorgenommen. Diese Maßnahmen werden Müller F. L. Hasenkamp zugeschrieben, dessen Name auf der Mahltrommel mit der Jahreszahl 1855 zu finden ist und der die Mühle bis 1872 in Pacht hatte.
Dannach war die Rolle des Pachtmüllers in Ovelgönne ausgespielt, denn die Mühle wurde von dem Eigentümer des in unmittelbarer Nähe liegenden Hofes erworben, und sie diente von jenem Zeitpunkt an bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts dem Eigenbedarf und den Zwecken des landwirtschaftlichen Betriebes, i. e. für den Antrieb der Dresch- und Sägemaschinen und zum Schroten.
Vermehrt wurde der wohl noch vor dem I. Weltkrieg umgerüstete Arbeits- und Wohntrakt an Quartiersuchende, v. a. an Hamburger Wochenendurlauber, vermietet und nach dem II. Weltkrieg endgültig für Wohnzwecke umgebaut und eingerichtet.
Eine sehr kritische Phase mußte die Mühle in den siebziger und frühen achtziger Jahren unseres Jahrhunderts überstehen, als das Gebäude, verwohnt und verfallen, seinem Ende entgegendämmerte und viele angeblich kritische Stimmen das Verschwinden solcher „Schandflecken“ forderten.
Es ist der Stadt Buxtehude und speziell dem damaligen Kulturdezernenten zu danken, dass solcher Mentalität offensiv und erfolgreich entgegengewirkt wurde. Die beiden Stader Kreisarchäologen Dr. Frerichs und Dr. Mettjes, die von der Stadt eingeschaltet worden waren, kamen übereinstimmend zu dem Urteil, dass die Ovelgönner Wassermühle „ein historisches Kleinod“ darstelle, „das im Landkreis Stade (inkl. der beiden selbstständigen Städte) einzigartig ist“ (Protokoll vom 04.02.1985).
Das motivierte endgültig: statt eines Abbruchs begann für die Mühle ein völlig neuer Abschnitt ihrer Geschichte, als 1985 ein umfangreiches Sanierungs- und Restaurierungsprogramm anlief, der Verein Ovelgönner Wassermühle die ´pro cura` übernahm und ein vielfältiges, in sich stimmiges Jahreskonzept für ein interessiertes Publikum entwickelt hat.
Die Ovelgönner Wassermühle, unsere liebenswerte ´molina´, feierte im Jahre 1999 ihren 325. Geburtstag. Sie hat ein stattliches Alter erreicht und bietet sich uns in alter Schönheit und Funktionstüchtigkeit dar; sie spielt heute zwar eine neue, aber angesichts unserer gesichts- und geschichtsloser werdenden Umwelt eine bedeutsame Rolle.
Werner Benecke (+)
Lietraturhinweise
1) Heinz Meyer-Bruck, Die Wassermühle zu Ovelgönne, Buxtehuder Notizen Nr. 2 1986, p. 5
2) A. C. Förste, Urspurng und Name des Dorfes Ovelgöbbe, Kreis Harburg, Selbstverlag Moisburg, 1966, p. p. 12f.
3) A. C. Förste, a.a.o. p. 12 und p. 22f.
4) K. Brüning, ed., Historische Stätten Deutschlands, Stuttgart, 1976, p. 95
5) Heinz Meyer-Bruck, a.a.o., p. 13ff.